Und wo bleibt das Marketing?
Viele unserer mittelständischen Kunden haben ein straff organisiertes Vertriebsteam und manchmal nur einen Kollegen, der ausschließlich um Marketingaufgaben wahrnimmt.
Viele Marketingthemen wie die Preis- und Produktpolitik, die Marketingkommunikation und die Positionierung des Unternehmens werden stattdessen von Geschäftsführung und von externen Dienstleistern oder vom Vertrieb selbst übernommen. Die verbleibenden Aufgaben bestehen noch aus der Führung der Mediaagentur und der Messeorganisation.
Der Vertrieb, der in der Marketingtheorie eines der vier Standbeine des Marketings ist, hat sich emanzipiert und etabliert und versteht das Marketing heute als nachrangigen Dienstleister. Die „großen“ Themen des Marketings lagen ja auch bereits in der Vergangenheit bei der Geschäftsführung.
Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Differenzierung zwischen Marketing- und Vertriebsaufgaben bei mittelständischen, vor allem bei industrienahen Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht nur immer schwieriger wird, sondern sich die Grenzen auch immer neu verschieben. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:
- Die Digitalisierung führt zu einer Steigerung der Komplexität der Marketingkommunikation, die nur in großen Unternehmen intern geleistet werden kann.
- Die Digitalisierung führt aber auch dazu, dass der Vertrieb bestimmte Aufgaben des Marketings leichter übernehmen kann.
- Die Vertriebsinstrumente bei mittelständischen Unternehmen haben sich nicht verändert, es wird das Optimierungspotenzial neuer Technologien genutzt.
Die Kriegerkollegen legen dabei den Fokus auf Unternehmen des industrienahen Großhandels und die Investitionsgüterindustrie. Diese „B2B Kommunikation“ unterscheidet sich fundamental von der der Kommunikation im Konsumgüterbereich, bei dem der persönliche Vertrieb –der stationäre Handel– unter großen Wettbewerbsdruck des Versandhandels steht.
Legen wir das Augenmerk deshalb wieder auf das Zusammenspiel von Marketing und Vertrieb bei mittelständischen Unternehmen zum Beispiel aus dem Großhandel oder der Investitionsgüterbranche wie dem Werkzeugmaschinenbau.
Komplexität der Marketingkommunikation
Die Digitalisierung der Marketingkommunikation führt zu immer höheren und spezielleren Anforderungen an die Marketingmitarbeiter eines Unternehmens. Ein kleines Marketingteam oder gar ein einzelner Marketingmitarbeiter kann diese Bandbreite nicht oft abdecken.
Der vor 20 Jahren ausreichende eindimensionale Mediaeinsatz – Printbroschüren und Printwerbung -, deren Auftreten oft erst nach Jahren erneuert wurde, ist einer breiten Klaviatur an Werbemöglichkeiten und deren Controlling gewichen. Bei all diesen Werbemöglichkeiten ist zudem eine rasche Anpassung nicht nur theoretisch möglich, sie wird erwartet.
Die Möglichkeiten des Marketingcontrollings haben dabei die Vertriebsorientierung der Marketingmaßnahmen im Gegensatz zum Branding erlaubt und nicht nur kurzfristig als maßgebliches Ziel etabliert.
Übernahme von Marketingaufgaben durch einen „imperialistischen“ Vertrieb
Seit 10 Jahren haben dabei die sozialen Medien auch in der B2B Kommunikation eine wichtige Rolle eingenommen. Aber gerade diese ist auf stetige Aktualisierung und persönliche Kommunikation angewiesen. Die Folge: Auch sie wird meist vom Vertrieb geleistet.
Die Folgen für die Marketingmitarbeiter sind die wachsende Bedeutung von externen Dienstleistern und die Übernahme der Kommunikation durch den Vertrieb. Warum dann nicht gleich die Webagentur durch die Vertriebsleitung führen lassen?
Diese Argumentation führt direkt zu weiteren Marketingaufgaben, die in unserer Zielgruppe vom Vertrieb übernommen wurden. Die persönliche Präsenz in Social Media muss ja eh direkt vom Kundenbetreuer als Vertrauensperson gewährleistet werden. Hier sollte das Marketing eine Coaching- oder Lieferantenrolle einnehmen.
Ob nun Social Media oder einfache Internetpräsenzen der Zugang zu Informationen über potenzielle Kunden oder Wettbewerber benötigt keine Marketingabteilung mehr. Mit Hilfe von ein paar technischen Tricks kann ein Lead aus einem Kontaktformular in Null-Komma-Nix qualifiziert werden oder eine Interessentendatei aus einem sozialen Netzwerk exportiert werden.
Ein Blick auf die früheren Adressdatenanbieter wie Panadress zeigt, wie sich auch deren Geschäftsmodell wandeln musste. Sie agieren heute als Marktforschungsinstitute.
Optimierung beim Einsatz klassischer Vertriebsinstrumente
Im Werkzeugmaschinenbau und im Großhandel bleiben die „analogen“ Vertriebsinstrumente unverzichtbar und bieten sogar Profilierungsmöglichkeiten gegenüber anonymen internationalen Anbietern. Unverzichtbare Instrumente sind der
- Telefonische Kontakt
- Die Messeteilnahme, vor allem als Aussteller
- Der Außendienst mit persönlichem Besuch und die
- Durchführung von Schulungen, Inhouse Veranstaltungen
Die technische Basis – Telefon, Messe, PKW – blieb dabei gleich. Die wirkliche Ergebnissteigerung aber bietet die Digitalisierung der Abwicklung. Ein paar Beispiele: Die gefühlsgesteuerte Planung der Außendienst-Besuche kann durch automatisierte Geschäftsprozesse bei der erfolgs- und geografischen Auswahl der Besuchsziele unterstützt werden.
Besuchsberichte können „just-in-time“ vom Vertriebsinnendienst für die Weiterverarbeitung genutzt werden und die Erfolgsmessung gibt unmittelbar Hinweise für die Umsatzplanung der nächsten Monate.
Gleichzeitig wird vom Kienbaum Vergütungsreport 2017 ein Rückgang der Außendienst Mitarbeiter um 30 Prozent prognostiziert. Dieser Rückgang wird aber bei „leicht vergleichbare[n] Commodity-Produkte[n] wie beispielsweise Elektronikartikel und Bücher“ erwartet, die Opfer der Digitalisierung werden und sich in den e-Commerce verschieben.
Nach unserer Einschätzung werden die komplexen und lösungsorientierten Produkte und Dienstleistung davon kaum betroffen werden. Im Gegenteil: Die meisten unserer Kunden stärken den Außendienst, so dass der von Kienbaum prognostizierte Rückgang bei Commodities noch stärker sein dürfte. Bei den genannten erklärungsbedürftigen Produkten mindestens stabil, wenn nicht sogar ansteigend sein dürfte.
Ähnliche Beispiele lassen sich schnell für alle Instrumente moderner Vertrieb finden. Die Spezialmessen feiern Zuwächse, die persönliche Schulung wird wahrscheinlich noch lange nicht durch Webinare abgelöst sein.
Wer also die „klassische Vertriebsmusik“ spielt und digital unterfüttert, hat noch (!) einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Nicht nur gegenüber alternativen internationalen Beschaffungsalternativen ihrer Kunden, sondern auch gegenüber den lokalen, weniger innovationsfreudigeren Wettbewerbern, die solche Potenziale noch nicht nutzen.
Was aber bedeutet dies für die Marketingmitarbeiter: Finden wir sie im Vertrieb wieder?
Ja, warum eigentlich nicht? In der Konsumgüterbranche ist dies ja längst erfolgt. Die These, dass das Marketing der Vertrieb von morgen ist, bestätigt längst fast wechselseitig. Die dort fast durchwegs vorhandene Preistransparenz und der durch das Internet gut informierte Kunde, machen es dort dem Verkäufer immer schwerer.
In der Investitionsgüterindustrie gilt dies aber eben nur beschränkt. Das bietet beiden betriebswirtschaftlichen Disziplinen ihren Platz. Die Marketingabteilung, bzw. der Marketingmitarbeiter muss die öffentliche Kommunikation des Vertriebs in den sozialen Medien steuern und unterstützen, die virtuellen Kanäle im Marketingmix bespielen und digitale Hilfsmittel für die klassischen Vertriebsinstrumente wie Messeauftritt, Außendienst und Telefonie bereitstellen. Und diesen Herausforderungen stellt sich die Vertriebsmannschaft ungern und selten.
Dr. Georg Krieger